Antonio Mariotti über «Reise der Hoffnung»

1991. Die Schweiz feiert stolz 700 Jahre Eidgenossenschaft, als sie in der Nacht zum 25. März aus Hollywood eine unerwartete Nachricht erreicht: «Reise der Hoffnung», der Spielfilm des 44jährigen Schwyzer Regisseurs Xavier Koller, hat soeben den Oscar für den besten ausländischen Film gewonnen. Die Herzen der Academy-Mitglieder waren berührt von der tragischen, von wahren Begebenheiten inspirierten Geschichte einer kurdischen Familie, die hofft, in der Schweiz das Paradies zu finden und es in einer stürmischen Nacht zu Fuss über die Alpen zu erreichen. Das Opfer, das die Familie bringen muss, ist gross: der kleine Mehmet Ali stirbt während der Flucht. Heute gilt «Reise der Hoffnung» als Klassiker: für die Kraft der Bilder, die Echtheit im Ausdruck der Darstellerinnen und Darsteller und für die richtigen dramaturgischen Entscheidungen. Auch inhaltlich erscheint die Geschichte von Haydar, Meryem, ihrem Sohn und den weiteren Flüchtlingen als Mahnmal und Metapher für ein grosses Drama, das der Film von Xavier Koller erzählte, bevor die Migration die heutige Dimension eines Massenexodus angenommen hatte.

Der Film erzählt eine wahre Geschichte: Im September 1988 tritt das türkische Ehepaar Haydar und Meryem, zusammen mit dem siebenjährigen Sohn Mehmet Ali, dem aufgewecktesten seiner sieben Kinder, in einem kleinen Dorf in den Bergen im Südosten der Türkei die «Reise der Hoffnung» an, die sie aus der armen Heimat in die reiche Schweiz führen soll. Die Familie hat Haus und Hof verkauft, um die Reise ins vermeintliche Paradies finanzieren zu können. Die lange Reise führt sie zunächst nach Izmir, wo sie sich als blinde Passagiere auf einem Frachtschiff nach Genua einschiffen. In Italien werden sie von Schleppern zum Splügenpass gefahren und trotz Schneefall und Kälte auf den Weg in die Schweiz geschickt. Die illegale Einwanderung nimmt ein tragisches Ende: Der türkische Knabe stirbt in den Armen seines Vaters an Erschöpfung und Unterkühlung.