«Le Milieu du monde»

Dies ist eine Ehebruchsgeschichte, wie sie das Kino tausendfach erzählt hat. Paul liebt Adriana. Er ist verheiratet und und aus Opportunismus in der Politik. Sie ist Italienerin, Kellnerin in einem Gasthaus. Es erwächst eine Leidenschaft, die offensichtlich zum Scheitern verurteilt ist. Dieses Handlungsgerüst mag banal erscheinen, aber es hat nichts von einer abgedroschenen und tristen Posse an sich. Denn Tanner rückt die Form in den Vordergrund. Der Film kündigt sich an als theoretische Recherche, er verankert sich in einer Epoche, etabliert eine Distanz, schreitet etappenweise vorwärts, arbeitet kunstvoll mit Ellipsen und setzt Sequenzen nebeneinander. Inmitten dieser formalen Mechanik bahnen sich die Figuren einen Weg. Zum ersten Mal taucht Alain Tanner die Welt in Farben. Und was für Farben! Jene der Ebene von Orbe, mit ihrer nahezu schwarzen, im Winter nebelverhangenen Erde. Jene des Autos von Paul, das tausendmal dieselben Straßen auf und ab fährt, eine grellrote Metapher für den typisch tannerischen Geisteszustand der Figur. Wie Charles Dé in «Charles mort ou vif», wie Rosemonde in «La Salamandre» verweigert sich Paul einem gewissen Konformismus, wird aber zum Gefangenen seines eigenen Systems, dazu verurteilt, sich immer im Kreis zu drehen. Adriana hingegen gelingt es zu entkommen. Sie ist es, die «Le Milieu du Monde» seinen Atem, sein Geheimnis, seine Freiheit verleiht.

Ein Westschweizer Ingenieur mit Familie und politischen Ambitionen verliebt sich in eine italienische Kellnerin. Er setzt für diese Beziehung seine Ehe und Karriere aufs Spiel, die junge Frau ist jedoch nicht bereit, für ihn ihre Arbeit und Unabhängigkeit aufzugeben.

Ein Film über ein ungleiches Paar, erzählt als Chronologie eines Scheiterns in 112 Tagen. Die filmische Form zwingt uns zur distanzierten Beobachtung, gleichzeitig berührt der Film durch eine interessante, starke Frauenfigur. Koautor von Alain Tanners erstem Farbfilm ist der Schriftsteller John Berger, mit dem der Filmemacher einige seiner schönsten und berühmtesten Filme («La salamandre», «Jonas qui aura 25 ans en l’an 2000») realisiert hat.