«La Paloma»

Es war 1974, als Daniel Schmids zweiter Langfilm in die Kinos kam. Er war dreiundreissig Jahre alt. Ich sechs. Es war das Jahr nach der Ölkrise. Europa steckte in einer Inflation. Und im Kino also «La Paloma».

Die Kamera von Renato Berta schwebt durch ein Tanzlokal. Wir sind Beobachterin, Voyeur. Die totkranke Nachtclubsängerin «La Paloma» (Ingrid Caven) verdreht dem reichen Grafen Isidor Palewski den Kopf. Sie wird ihn nicht lieben. Sie wird mit ihm spielen. «Der Film könnte z.B. auch ein Traum sein. Es ist keiner, aber es könnte einer sein», schrieb Daniel Schmid.

Er gehörte zur Filmfamilie rund um Rainer Werner Fassbinder. Dessen Frau – Ingrid Caven – wurde durch Schmid zur Filmikone. Er selber war Kosmopolit und ein Bergkind: aufgewachsen im Hotel Schweizerhof in Flims, umgeben von starken Frauen.

Sein Frühwerk «La Paloma» noch einmal schauend, bringt mir den grossen Cineasten für einen Moment zurück ins Leben. Ich entdecke, was die Avantgarde damals bewegte und mit ihr ein hungriges Publikum. Während die Welt draussen kälter und kälter wurde, schwelgte «La Paloma» in opernhafter Dekadenz.

«La Paloma»

Von den ersten Sekunden an entführt uns «La Paloma» in eine skurrile und zeitlose Atmosphäre: Die Sängerin Viola, die an Marlène Dietrich erinnert (brillant gespielt von Ingrid Caven), tritt in einem Nachtclub mit roten Vorhängen und ungewöhnliche Figuren auf: Mafiosi mit Waffen, stark geschminkte Kinder, Glücksspieler ...

«La Paloma» veweist sowohl auf den Roman «Die Kameliendame» von Alexandre Dumas wie auf die filmische Extravaganz von Josef von Sternbergs Werken. Und dann ist da auch noch die denkwürdige Opernzsene in den Bergen.

Der Film erzählt die Geschichte der verhängnisvollen und einseitigen Liebe des reichen Grafen Isidor zu Viola: Einer Liebe, die zum Drama und zur tragischen Dreiecksbeziehung mutiert, bevor der Film endgültig ins Fantastische umschlägt.

Als «La Paloma» 1974 die Semaine de la Critique in Cannes eröffnete, wurde er als Beginn eines neuen Deutschschweizer Films gefeiert. Schmid führte in «La Paloma, der aufgrund seines bescheidenen Budgets auf 16 mm gedreht wurde, die ästhetische Suche weiter, die er in seinem ersten Langfilm in «Heute Nacht oder nie» begonnen hatte.

Die Restaurierung der Cinémathèque suisse wurde bei L'immagine ritrovata durchgeführt, mit der Unterstützung von Memoriav. Die Lichtbestimmung erfolgte in Zusammenarbeit mit Renato Berta.